Die Welt 11.09.2023

Das Superfleisch aus Thüringen

Das wertvollste Fleisch der Welt kommt aus Thüringen: Tobias Becker züchtet hier Wagyu-Rinder. Ein Kilo Rumpsteak kostet 300 Euro. Und das, sagt Becker, ist besonders nachhaltig und eine Chance für kleine Höfe auf dem Land.

DSC6773 Bearbeitet jpg 1

Dass Wagyu-Rinder anders sind als herkömmliche Rinder, das merkt man auf der Kälberwiese. Dort stehen die Muttertiere mit ihrem Nachwuchs, und wenn sich ein menschlicher Besucher dazustellt, dann bleibt es ruhig. Die Wagyus lassen sich nicht stören, machen entspannt weiter: grasen, blinzeln, stehen auf grüner Thüringer Weide unter blauem Thüringer Himmel. Zwischen gewöhnlichem Fleckvieh wäre es für Menschen wahrscheinlich schon unruhig bis ungemütlich geworden. Die Wagyus aber sind ausgesprochen unaufgeregt. Und das kann man in einigen Jahren schmecken.

Den Traktor hört man auf dem Gelände von Marblelution, aber nicht die Tiere. Die aus Japan stammenden Wagyu-Rinder sind für ihre Ausgeglichenheit bekannt. Darum geht es in der größten Wagyu-Zucht Europas eher ruhig zu: Hier stand zu DDR-Zeiten eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft). Heute wird am Ortseingang von Haina zwischen Gotha und Eisenach mit viel Aufwand ein Weltklasse-Lebensmittel produziert. Fleisch von Wagyu-Rindern ist ein absolutes Premiumprodukt: ziemlich teuer und sensationell im Geschmack.

DSF7933 jpg
DSC6157 jpg

Tobias Becker, sein Bruder Robert, Stefan Rottensteiner und Sebastian Röttcher haben Marblelution in Haina gegründet: Ein Partner-Netzwerk von über 80 Zucht- und Mastbetrieben, das sich um mehr als 5000 Wagyu-Rinder in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in Norditalien kümmert. Die Tiere stehen nicht allein in Haina, sondern sind auf viele Standorte verteilt. Das macht die Wagyu-Netzwerker aus Thüringen zu einem absoluten Schwergewicht auf dem Markt für exklusives Rindfleisch. Größe verpflichtet, finden sie bei Marblelution und haben sich darum vorgenommen, Tierzucht, Konsumverhalten und den gesamten Markt zu revolutionieren.

Revolution? „Wir werden in 20 Jahren entweder Wagyu-Fleisch oder Laborfleisch essen“, sagt Tobias Becker. Er ist hier auf dem Thüringer Land geboren und aufgewachsen. Und darum sagt er auch: „Wir sichern die Existenz von kleinen Höfen und landwirtschaftlichen Strukturen.“ „Revolution“ steckt in der zweiten Hälfte von Marblelution, der vordere Teil – „marble“ (Marmor auf Englisch) – bezieht sich auf die auffällige Marmorierung von Wagyu-Fleisch. Eine Rinderrevolution planen Becker und seine Partner, mit sehr besonderen Tieren und einer sehr besonderen Art von Viehwirtschaft.

DSC5750 jpg
DSC0392 Bearbeitet jpg
DSC0353 jpg

Es muss sein, findet Becker. Zum einen geht es ums Geld, um langfristig gute Tierhaltung zu sichern und attraktiv zu machen. „Denn in Deutschland und Europa gibt es aktuell so gut wie keine Tierhaltungsprogramme, bei denen Geld verdient wird. Das ist leider alles plus/minus null, subventionierte Geschäfte, die aus anderen Sparten wie Ackerbau und mit EU-Hilfen finanziell am Leben gehalten werden.“ Und zum anderen geht es um Qualität. „Die Qualität von Lebensmitteln spielt bis heute keine große Rolle, nicht nur in Deutschland. Wir bezahlen Quantität statt Qualität, weil die Haltung kaum eine Rolle spielt.“ Wir können auch anders, meint Becker, und wie das geht, will er in Thüringen vorleben.

Die Idee dazu ist zehn Jahre alt. 2013, er war noch Student der Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Schmalkalden, kam Tobias Becker erstmals mit dem Thema Wagyu in Berührung. Becker sah ein Tier und eine Marktlücke. Denn seinerzeit kam richtig gutes Fleisch immer aus dem Ausland. Nordamerika, Südamerika, Australien oder Kobe im Südwesten Japans, Heimat der Wagyu-Rinder.

Ganze 270 dieser einzigartigen Kühe gelangten in der Zeit von 1868 bis 1874 aus Japan ins Ausland. Danach wurde die Ausfuhr untersagt. Alle Wagyus außerhalb Japans gehen auf die Tiere zurück, die im 19. Jahrhundert ihr Ursprungsland verließen. Auch die von Marblelution.

Tobias Becker und sein Bruder Robert – gelernter Landwirt, Fachmann für Tierzucht – waren sich 2013 ziemlich sicher: Premiumfleisch kann man auch in Thüringen produzieren, hochwertig, nachhaltig, regional. Aber nur mit den richtigen Tieren. Sie besuchten eine Wagyu-Auktion in Münster und kauften mit finanzieller Starthilfe des Großvaters zwei Kälber: Ilka und Lake Wagyu.

DSC9071 Bearbeitet jpg
DSC0105 Bearbeitet jpg
DSF8374 jpg
DSC6277 jpg

Ilka ist heute zehn Jahre alt und wirkt entspannt, wie sie da auf dem Stroh im Stall liegt. Becker schwärmt: „Sie ist nicht nur unsere erste Kuh, sondern auch eine der besten Zuchtkühe, die wir je hatten. Sie hat viele Nachkommen, die zudem noch eine hohe Fleischqualität haben. Ilka ist die perfekte Kuh.“

Aus Ilka und Lake Wagyu ist eine stattliche Herde von mehr als 5000 Rindern geworden. Rund 800 werden im Zuchtzentrum in Haina betreut. Becker und seine Leute sprechen von der „Arche“, der Rest verteilt sich auf die Partnerbetriebe. In Haina musste man sich erst an das japanischstämmige Vieh gewöhnen. Becker: „Früher wurde hier Milchviehhaltung betrieben, die fand ausschließlich im Stall statt. Wir setzen mit den Wagyus jedoch auf Weidehaltung. Am Anfang rief da wirklich jemand an, ob wir die Tiere bei Regen nicht in den Stall holen wollen, die würden doch ganz nass.“ Der beste Stall sei kein Stall, sagt Tobias Becker.

Die Partnerbetriebe für Zucht und Mast müssen sich bei Marblelution auf einen Wertekanon verpflichten. Die artgerechte Haltung ist hier festgeschrieben, Stroh als Untergrund, viel Auslauf, auch die Fütterung der Wagyus ist klar geregelt, auch hier setzt man in Haina auf Regionalität. „Wir verfüttern regionale Zuckerrübenschnitzel und Rückstände, die bei der Bierproduktion anfallen, sogenannte Biertreber. Das konkurriert als Abfallprodukt auch nicht mit menschlichem Konsum“, so Becker.

DSC9663 Bearbeitet jpg
DSC5889 jpg
DSC9830 Kopie jpg

Marblelution liefert den Partnern im Netzwerk Mutterkühe und Know-how. Die Partner kümmern sich um Aufzucht und Mast der Kälber. Sind die ausgewachsen und schlachtreif, kauft Marblelution sie zurück zu einem vorher vereinbarten Preis und vermarktet schließlich das Fleisch.

„Wir wollen, dass Landwirte von dem, was sie produzieren, leben können“, sagt Becker. „Als Richtwert gilt bei uns, dass ein Partner ab 30 Mutterkühen seine Familie mit der Wagyu-Zucht ernähren kann, das ist ideal auch für kleinere Familienbetriebe.“ Die Marge im Premium-Segment sei vergleichsweise hoch und stabil, sodass man auch einen beträchtlichen Anteil der Verlaufserlöse an die Landwirte ausschütten könne.

Ein Kilo Wagyu-Rumpsteak kostet ab 300 Euro aufwärts. Ja, viel Geld – aber die Menschen werden in Zukunft weniger Fleisch essen, dafür besseres, sagt Becker. „Und Wagyu hat das Potenzial, das effizienteste und nachhaltigste Fleisch der Welt zu sein.“ Die Haltungsdauer der Wagyus ist mit 36 Monaten etwa doppelt so lang wie bei konventionellen Rindern. Dafür gibt es pro geschlachtetem Wagyu-Rind die fünffache Menge an „Edelteilen“ – besonders wertvolle Fleischstücke. Rund 50 Prozent der Wagyus werden zu Steaks verarbeitet, sagt Becker. Bei gewöhnlichen Rindern seien das lediglich zehn Prozent.

DSC6967 Bearbeitet jpg
DSC6732 jpg
DSC7210 Bearbeitet jpg

400 Schlachtungen peilt Marblelution für das laufende Jahr an. 2024 sollen es rund 800 sein, irgendwann 5000 pro Jahr, sagt Tobias Becker. Aktuell ist die Nachfrage deutlich höher als das Fleischangebot. Inzwischen kauft auch ein Großhändler aus Schweden Fleisch von Marblelution – Wagyu aus Deutschland ist für dieses schwedische Unternehmen aktuell die regionalste Variante der hochwertigen Fleischsorte. Alternativen müssten aus Nordamerika oder Australien nach Schweden transportiert werden. Von der anderen Seite der Erde.

Zum Besprechungsraum neben dem landwirtschaftlichen Betrieb gehört bei Marblelution eine kleine Probierküche. Ein Mitarbeiter bereitet Fleischstreifen zu. Tobias Becker erklärt: Der Geschmack von Wagyu sei „umami pur“. „Umami“ ist die fünfte Geschmacksdimension neben süß, sauer, salzig und bitter – schmackhaft, würzig, herzhaft, vollmundig. Das Wagyu kommt auf den Tisch, dazu ein wenig Salz. Becker schaut, sein Blick sagt: Und? Wie wirkt es? Es wirkt. Das Fleisch ist sehr zart. Es schmeckt sehr besonders. Es verlangt nach Andacht beim Essen. Gut möglich, dass das der Geschmack einer Revolution ist.

Pasted Graphic 1

Die Marke DAS IST THÜRINGEN des Thüringer Landesmarketings erzählt Geschichten über Menschen, Kultur und Natur, die zeigen, wie lebenswert und verblüffend anders der Freistaat ist.

Pasted Graphic 2
Profi
tiere!